Buchtitel: „Das Geheimnis des inneren Pegels“

Kapitel 1: Die Entdeckung des inneren Pegels

Pia kuschelt sich wohlig in ihr Kissen. Schön weich, warm und mit dem wohligen Gefühl, ganz und gar beschützt zu sein. Langsam aber sicher das Wegdämmern ihres Bewusstseins in den Schlaf. Letzte locker dahintreibende Gedankenwölkchen vom Tag: Der Spaß mit Lili, ihrer engsten Freundin, den Mathelehrer wenigstens ein bisschen aus dem Konzept gebracht, beim Sport geglänzt und eine neue Frisur probiert.

Eigentlich nun das völlige Absinken und Aufgehen in ihrer Traumwelt, doch mitten hinein ein sacht geflüstertes „Hey – Pia!“, eine zauberhafte Stimme, irgendwo aus dem Nichts, zart und rücksichtsvoll.

Pia noch im Halbschlaf: „Träume ich oder ruft da jemand?“ Ihre ausgeprägte Neugier springt schneller an als eine startende Antilope: „Ja, hallo, ist da wer?“ „Schwer zu sagen,“ die heimelige Stimme: “Ich bin ein Geist, eine Art liebevolles Gespenst oder so und nur du kannst mich hören…“

„Voll krass“, denkt sich Pia begeistert, „Ein Geist spricht mit mir, wie schön…“ „Danke…“ „Aber wie heißt du und wo kommst du eigentlich her?“ „Meine Gespenster-Eltern haben mich damals ‚Fee‘ genannt, weil ich so zart und durchscheinend war und ich komme vom Dachboden“, klingt es etwas bescheiden, „aus einem alten Öllämpchen, obwohl ich es mag, ein moderner Geist zu sein…“ „Und warum gerade jetzt?“ „Na, Öl ist doch endlich und out, blieb doch nur, mich ganz auf Geist umzustellen. Davon kann ich hoffentlich auf ewig zehren…“

„Und wie bist du gerade auf mich gekommen, Fee?“ „Hab‘ lange Jahre gewartet, denn Geist ist nicht alltäglich und oft sogar unerwünscht. Zu viel Verstand und Vernunft, heißt es immer. Habe vor dem überemotionalen Mainstream vor Jahrzehnten schon in der alten Lampe Zuflucht gesucht. Die Geschichte von Aladin mit der Wunderlampe hatte mich auf die Idee gebracht.

Aber als ich deine Aura wahrgenommen habe, ein ganz natürliches 14-jähriges Mädchen mit Neugier und Mut, war es aus mit meiner Geduld. Aber der Deckel war eingerostet und ich kam nicht mehr raus. Bin so lange hart dagegen gerannt bis ich frei war, weil ich so gerne ein bisschen Gesellschaft haben wollte, am liebsten mit dir.“

„Du bist ein Geist und ich ein Mädchen, wie stellst du dir das vor?“ Ein kleiner geistiger Seufzer… „Als alles durchdringender Geist habe ich viele Jahrzehnte Menschen beobachtet, was in ihren Köpfen so vorgeht und warum sie so sind wie sie sind, und würde dir gerne dabei helfen, dich selbst und Andere zu verstehen um besser durchs Leben zu kommen.“

Pia so überrascht wie begeistert: „Kann es nicht fassen, super cool! Wann fangen wir an?“ „Kleines Problem, hab‘ bisher nur beim Einschlafen Zugang zu dir und Tageslicht stört auch ein bisschen, da bleiche ich noch mehr aus…“ „Halb so wild“, meint Pia, „soll auch bei Vampiren vorkommen.“

“Da ist noch etwas…“ „Und?“ „Unser Geheimnis. Was wir hier machen, muss unter uns bleiben…“ „Ok, gecheckt…“ „Also bis morgen…“ Ein unhörbares Rascheln und Fee schon dahingeschwunden. Pia bereits am Einschlafen und sich nicht ganz sicher, ob das alles wirklich war – oder doch nur ein wohlig geträumter Wunsch…

Am nächsten Abend Pia mit der bangen Frage, ob Fee ihr wieder erscheinen würde. Noch ganz aufgewühlt davon, dass sie auf dem Schulweg um ein Haar mit dem Fahrrad verunglückt wäre – wieder mal diese doofen Straßenbahnschienen – nun ungeduldiges Warten:

Keine Fee, keine anheimelnde Stimme, kein gar nichts. Etwas enttäuscht Musik hören, ihr Lieblingsstück gleich ein paar Mal. Chillen und die Seele zur Ruhe kommen lassen, im Bett das Kissen noch fester und hoffnungsvoller gedrückt als sonst.

Und tatsächlich: Ganz leise noch, aber immer deutlicher, wie aus dem Nichts, die ersehnte sanfte Stimme: „Tut mir leid, habe vergessen zu sagen, dass du mich geistig erst richtig wahrnehmen kannst, wenn du dich wohlfühlst und nicht voll innerer Aufruhr bist. Dein Beinahe-Unfall hat dir Angst gemacht und dich seelisch runtergezogen.“ Fee weiter:

„Aber dafür habe ich mich auch besonders hübsch für dich gemacht und trage extra eine Aura aus weißer Spitze: Mach‘ die Augen zu, dann kannst du mich vielleicht sogar sehen…“

„Süß siehst du aus und guckst so lieb… Du hast recht: Gestern war echt easy, heute – mit dem Fahrrad – ein satter Dämpfer: Kann mich aber nicht umwerfen…“

„Gestern hast du mit den vielen schönen Erlebnissen dein seelisches Konto so weit aufgefüllt, dass du dir den heftigen Abfluss heute hast leisten können…“ Pia ein bisschen verwirrt: „Wie bitte, Konto? Auffüllen? Abfließen?

„Du spürst es doch selbst: Alles, was du als Erfolg wahrnimmst, jeder Spaß und jede gute Tat lässt eine Art von Pegel in dir ansteigen. Eine Anstrengung hingegen, Unpässlichkeit, Misserfolg, Ärger, Ängste, schlechte Aussichten und alles, was dir ein mieses Gefühl macht, senkt deinen seelischen Pegel.“ Fee etwas nachdenklich:

„Habe mir lange überlegt, wie ich das bildlich zeigen könnte: Besonders cool erscheint mir diesesFässchen: Oben fließen die aufbauenden Gefühle rein, unten die niederdrückenden Empfindungen aus Mühen, Belastungen und Ängsten raus…“

„Ganz einfache Mathematik“ freut sich Pia, „Eine Überzahl an Erfolgen und mein Pegel steigt, überwiegen die seelischen Lasten, sinkt er ab.“ „Bist du einverstanden“, meint Fee, „wenn wir das, was da rein- und rausfließt, ‚seelische Energie‘ nennen?“

Kapitel 2: Der hohe Pegel – Ein Tag voller Möglichkeiten

„Klar, brauche doch bloß ein bisschen in mich hineinhören: Wenn ich einen Punkt beim Volleyball mache, spüre ich doch richtig körperlich, wie mir da irgendeine Energie zufließt. Fast so, wie wenn mir zur Belohnung für meinen Erfolg etwas furchtbar Angenehmes ins Blut getröpfelt und mich fröhlich machen würde.“ Pia sprudelt weiter: „Und ein anerkennender Knuff von meinen Mitspielerinnen setzt sogar noch eins drauf: Ich schwebe auf Wolken…“

Fee ganz begeistert von Pias logischen Gedanken: „Für jeden Erfolg in dem, was du tust, erhältst du eine Belohnung, die dein Fässchen auffüllt.“

„Ist doch echt easy jetzt,“ meint Pia: „Schlage ich den Ball ins Aus, habe ich mich umsonst angestrengt, seelische Energie verbraucht, aber nichts erreicht: Misserfolg gleich Abfluss: Der Pegel im Fässchen sinkt.“

Pia kann gar nicht mehr aufhören: „Wenn genügend Energie im Fässchen ist, kann ich aus dem Vollen schöpfen, auch mal richtig mutig das angehen, was mir besonders am Herzen liegt…“

Mit den nur noch geflüsterten Worten: „Wie ich mich schon auf morgen freue!“ lässt sich Pia genüsslich vom Schlaf übermannen… Tief und fest und ganz ohne Träume und Gespenster.

Aus den Federn! Ein super Frühstück, das Kraft gibt, den nervigen kleinen Bruder ganz nebenbei in die Schranken gewiesen, das Selbstwertgefühl durch ein cooles Outfit noch weiter gestärkt, der Bus fährt pünktlich, Pia in der Schule: Strahlend, alle Fähigkeiten präsent, die Klassenarbeit hart, aber gut bewältigt und dann los zum Sport: Volleyball macht eben tierisch Spaß, besonders, wenn man gewinnt, nachher mit den Mädels gackern und lachen. Ein bisschen flirten, der Klassengockel zieht alle Blicke auf sich. Und hat sogar kurz hergeschaut…

Pias Fässchen wohlgefüllt: Sie selbst fröhlich und voll Selbstvertrauen…

Kristallklar im Kopf,derVerstand scharf und das fühlbare Bedürfnis, auch für andere da zu sein und Freundin Lilli bei diesen kniffligen Mathe-Aufgaben zu helfen.

Welch toller Tag!

„Das kann doch nicht wahr sein,“ denkt sich Pia im Überschwang, „dass ich sogar begonnen habe,mein chaotisches Zimmer aufzuräumen? Das eingerissene T-Shirt glatt und sauber genäht, statt es, wie bisher, einfach wegzuwerfen? Freiwillig den Müll rausgetragen, wie das denn? Ruhig und vernünftig mit Eltern und Bruder? Was ist denn da los, Fee, in meinem Alter, bin ich etwa geisteskrank? Fee??“

Keine Antwort. Dafür beginnt das Handy zu summen und dann merkwürdig esoterische Klänge von sich zu geben: „Ich bin’s, Fee: Keine direkte Geist-Verbindung. Tagsüber zu viel Wellen in der Luft, aber zum Glück ein letzter Geistkanal im 13G-Netz frei:

Also: Je höher dein Pegel, desto mehr weiten sich deine Gedanken über dich selbst hinaus: Du beziehst andere Menschen stärker in deine Interessen ein, Familie und Freundschaft ist dir wichtig, Natur und Menschheit haben plötzlich einen Stellenwert. Und dein Selbstwertgefühl erst…

Und du hast nun die Fähigkeit, für deinen Pegel rundum zu sorgen, Spaß und Freude zu haben und sogar Andere damit anzustecken. Und kannst in Ruhe überlegen, was dir wichtig und zuträglich ist und was nicht. Ein irgendwie idealer und entsprechend selten zu erwartender Zustand…“

„Ok, fühlt sich richtig Klasse an, das geht bestimmt wieder von alleine weg, fürchte ich…“

Kapitel 3: Der sinkende Pegel – Wenn die Dinge schwerer werden

Heute im Schulbus für Fees 13G natürlich kein Empfang. Drehen und wenden des Handys, auch flach an die Glasscheibe gedrückt, kein Effekt. Keine Fee, selber denken…

Dafür auf 4G und 5G satter Betrieb: Keiner der Kids spricht auch nur ein Wort mit dem anderen, jeder starrt auf sein Handy, schreibt SMS oder konsumiert schon am frühen Morgen unterirdisches Zeug.

Tief eingegrabene Gewohnheit und keiner merkt, wie die Fässchen langsam aber sicher leerlaufen und damit die seelische Energie, die doch für Können und Wollen so nötig ist, dahinschwindet.

Wo bleibt dann der Wille, etwas zu leisten, wo Kameradschaft, Freundschaft, über Alltägliches sprechen, Probleme gemeinsam angehen und lösen?

Pia beim Kartoffel-Schälen, Mami ist erkältet und musste ins Bett. Kleiner Bruder Christian nervt schon wieder. „Wohl Ebbe in seinem Fässchen,“ denkt Pia bei sich, „dann hat er nicht mehr genug seelische Energie für was Anspruchsvolles, um für sich allein zu spielen, ein Bilderbuch anzuschauen oder etwas zusammenzubauen, etwas, das ihm Erfolg und Zufluss in sein Fässchen verschaffen würde.

Aber Langeweile zehrt noch weiter und es bleibt ihm schließlich nur noch der Versuch, über mich, seine Schwester, Macht auszuüben, indem er mich nervt und mir damit eine Menge seelischer Energie stiehlt.“

Kartoffel schälen, zwar nicht gerade die anspruchsvollste aller Tätigkeiten, aber sinnvoll und notwendig. Auch der Dienst an der Familie kann viel seelische Energie bringen. Kleiner Bruder Christian weigert sich dagegen beharrlich, den Bio-Müll rauszutragen.

„Puh…“ stöhnt Pia, „Wenn alles, was ich hier tue, zu wenig seelische Energie einbringt und mich das tägliche Leben nervt mit seinem dauernden Mach‘ dies, mach‘ jenes, wenn meine Freundinnen komisch werden und mich enttäuschen, der Bus ausbleibt, ich zu spät zur Schule komme und mein heutiger Vortrag zu Hause liegen geblieben ist? Ein leerlaufendes Fässchen, der reine Stress!“

„Bei Tiefstand,“ meint Fee, „setzt das Denken aus und alles läuft unbewusst aus dem Bauch heraus“. „Das kenne ich!“, meint Pia, „Dann hilft mir nur noch Schokolade und ich putze die weg, ohne dass ich das überhaupt bemerke. Würde mir sonst nicht einfallen, will schließlich meine Bikini-Figur behalten.

Wenn ich mich nicht so gut fühle, traue ich mir auch nichts mehr zu: Vor einer Wochegefragt,Klassensprecherin zu werden, war eben mies drauf, hab‘ richtig Angst gekriegt und abgelehnt. Heute bereue ich das, hätte das eigentlich gern gemacht – und mir auch zugetraut…“

Auch eine Klassenarbeit oder dem Unterricht folgen, fällt mir dann schwer, weiß überhaupt nicht mehr so richtig, was wichtig ist und was nicht. Kriege alles nur noch halbherzig und entsprechend schlecht hin. Ist noch enttäuschender. Mein armes Fässchen!“

Pia nachdenklich weiter: „Wenn mein Pegel sinkt, sehe ich die Welt und alles um mich herum ohne Grund nur noch grau in grau und alle sind gegen mich. Dann auch noch die miesen Nachrichten über Krisen, Kriege, Katastrophen und was auch immer. Bei fast leerem Fässchen kaum auszuhalten…“

Kapitel 4: Am Boden – Wenn der Pegel kritisch wird

Pia in ihrem Bett, liest in einem Buch: Ein Junge darin namens Martin brettert besonders gern mit dem Skateboard steile Straßen hinunter, wie bescheuert so ein irres Risiko. Der Fahrer des Autos konnte eben noch bremsen, mehr Glück als Verstand im Spiel. Denn dieser setzt bei Niedrigstand im Fässchen mehr oder weniger ganz aus: Das Verhalten nur noch unbewusst, zwanghaft, ohne Überblick oder auch nur einen Gedanken an die Folgen.

Martins Fässchen fast leer, er selbst im Vollstress mit ganz miesem Gefühl: Urängste, kann sich nicht konzentrieren, das Meiste, was er anfasst, geht daneben, er selbst ein Bündel aus Ängsten und Misserfolgen. Total überempfindlich, geht er wegen jeder Kleinigkeit an die Decke, wird immer unausstehlicher.

Dass schließlich keiner mehr mit ihm was zu tun haben will, macht ihn noch aggressiver und – gefährlich. Selbst seine Freunde kümmern ihn keinen Pfifferling mehr. Wen auch immer er als schwach und mögliches Opfer ansieht: Seinen ganzen Frust an ihm auslassen, mobben, sich prügeln. Macht ausüben bringt große Mengen seelischer Energie, geraubte Energie.

Und der Gemobbte selbst? Niedergemacht und ohne Aussicht geht ihm dauernd seelische Energie verloren. Sein Fässchen wird sich leeren bis keine Energie mehr zum normalen Leben bleibt: Stress und Ängste bringen den ganzen Organismus in Not, Herzrasen, der Magen rebelliert, das Immunsystem kapituliert vor jeder Infektion. Ängste über Ängste, schlaflos im Bett…

Auf Dauer nicht auszuhalten. Die wichtigste Entscheidung überhaupt: Kampf oder Flucht? Flucht heißt hinnehmen und den Aggressiven noch ermutigen. Also Kampf! Sich Unterstützung holen bei Freunden, Eltern, Lehrern. Am besten selbst körperlich und seelisch wehrhaft werden…

Kapitel 5: Die Verhaltens-App – Wer hat das Sagen?

Fee druckst ein wenig herum: „Hast du dir schon mal überlegt, wer oder was in deinem Kopf darüber bestimmt, was du als Nächstes tust? Gutes oder Böses? Gescheites oder Dummes?“ Pia schüttelt nachdenklich den Kopf.

„Du spielst mit Mia, deiner kleinen Katze und lässt als Ersatz für eine Maus ein Wollknäuel wegrollen. Die Software im Gehirn von Mia erfasst mit ihren Sinnen wie Augen, Ohren und vielleicht auch Nase, die Szenerie, als wolle irgendeine Beute wie Maus oder Vogel vor ihr fliehen.

Blitzschnell springt ihr Jagdtrieb an, irgendwas in ihrem Kopf berechnet das passende Verhalten: Wie du siehst volle Konzentration auf das Wollknäuel, alle Kraft in den Sprung, dabei die Krallen ausfahren und bereit zum Zubeißen.“

„Würde jedoch unversehens ein großer Ball auf das Kätzchen zurollen, würde ihre Software dies als Gefahr auffassen: Ein schneller Sprung und weg wäre sie.“

Fee zögert merklich: „Da war noch was!“ „Schon wieder?“ „Nun ja, als freischaffender und gut vernetzter Geist habe ich Beziehungen: Kenne da den Freund eines Freundes… Der versteht wie sonst keiner, was da so in den Köpfen der Menschen abläuft.“ Pia nichts als sprachlos und – neugierig wie immer…

Nach wenigen Sekunden Fee: „Darf ich vorstellen: Softy, der Manager im menschlichen Gehirn, Herrscher über Milliarden von Nervenzellen und den vielen Verbindungen zwischen diesen. In Wirklichkeit ist Softy uralt, so alt wie die Menschheit selbst. Hat sich mit dieser zusammen entwickelt.

Softys Aufgabe? Wie bei der Katze und dem Wollknäuel aus den Signalen deiner Sinne wie Augen, Ohren, Geruch, Berührungen und was auch immer die Situation zu erkennen, ob damit seelische Energie zu gewinnen wäre oder ein Verlust derselben droht. Zusammen mit seiner Erfahrung berechnet Softy dann mit den vielen Nervenzellen im Gehirn, was zu tun wäre und setzt das in Gang.

An einem heißen Sommertag kommt Pia an einer Eisdiele vorbei, Softy weiß aus Erfahrung, Eis schmeckt kühl und köstlich, lässt seelische Energie zufließen, also macht er ihr Appetit und schon sitzt sie mit einer Tüte Eis im Schatten, denn er hat sie dorthin gelenkt, weil er gemerkt hat, dass ihr zu warm ist.

Softy hält Pia auch davon ab, sorglos des nachts durch den Park zu laufen, indem er ihr Angst davor macht. Mit Vorfreude motiviert er, mit Ängsten hält er Pia von Risiken fern.“

Fragen wir doch mal Softy selbst, meint Fee: „Hi Softy, was läuft so? Fässchen ok?“ Eine angenehm tiefe Computerstimme lässt sich hören: „Zurzeit ja, Pia entspannt im Liegestuhl träumend. Pegel seelische Energie in ihrem Fässchen auf Normalhöhe, kein Stress, keine Probleme, kann mich selbst erholen, den Organismus durchputzen, im Gehirn Ordnung schaffen und üble Viren und alles übrige schädliche Zeug uns vom Leib halten. Sorgen und Ängste auch. Alles paletti…

Bei so viel seelischer Energie im Fässchen kann ich sogar Energiefresser wie Verstand und Mitgefühl mitspielen lassen. Siehst du ja an Pia: Gut drauf, intelligent und rücksichtsvoll. Aber – ganz im Vertrauen – es bringt mir nichts, immer nur herum zu chillen und nichts läuft. Stehe nun mal auf Action, ist schließlich meine Lebensaufgabe, Pias Fässchen gefüllt zu halten…

Völliges Chaos, wenn ein Fässchen mal überläuft: Als sich Pias Freundin Lilli unsterblich in den Klassengockel verknallt hat, wohin mit dem ganzen Zeug? Verstand und jede Vernunft komplett weggeschwemmt, der ganze Zirkus mit rosaroten Wölkchen, Welt umarmen und Luftschlösser bauen – nicht auszuhalten… Nicht einmal richtigen Hunger konnte ich noch organisieren. Nur Luft und Liebe…“ Softy musste tief Luft holen:

„Die besten Chancen, seelische Energie zu gewinnen, ergeben sich, wenn der Pegel im Fässchen so ein bisschen niedriger steht, eine Herausforderung vorliegt, nicht zu viel, nicht zu wenig, eben so, dass es noch mit Kraft und kreativem Einsatz zu bewältigen ist: Eustress nennt ihr das… Volles Programm Verstand und Mitgefühl dabei. Das macht vielleicht Spaß!“

„Wie vor einem Volleyballspiel von Pia?“ meint Fee?

„Da ist sie doch richtig aufgekratzt, ich spende Energie und Einsatzfreude, aktiviere alle Fähigkeiten, für Pia selbst und auch für die Mannschaft: Aus einem Guss!“ Eine kleine Pause: „Und wenn das Spiel gewonnen ist, lasse ich seelische Energie in Strömen fließen, die Fässchen füllen und die Mädels feiern…“

Weniger schön wäre es, zu verlieren und der ganze Einsatz an seelischer Energie wäre futsch. Der Pegel in den Fässchen gesunken und die Vorfreude auf einen Sieg enttäuscht. Wenn das öfter passiert und sich das Fässchen weiter leert, hört der Spaß ganz schnell auf, denn mit so wenig Reserven muss ich sparen. Heißt, energiefressenden Verstand runterfahren, Mitgefühl ebenfalls.

„Und wie würde sich das zeigen?“ fragt Fee. „Na ja“, meint Softy, „es gibt zwei Möglichkeiten: Wenn doch noch genügend seelische Energie in den Fässchen verblieben ist, werden sich die Mädels unter meiner Regie zusammensetzen und in Ruhe schauen, was im Spiel so schiefgelaufen ist: Waren die Anderen einfach eine Klasse besser oder haben wir selbst Schwächen gezeigt, an denen man arbeiten muss?

„Hat die harsche Niederlage jedoch die Fässchen fast bis zum Grund geleert, muss ich aus Energiemangel Verstand und Mitgefühl komplett canceln und aus ist es mit ruhiger Überlegung und Rücksicht: Ich aktiviere mein Notprogramm ‚Sündenbock‘ und der Schwächste wird nun herausgedeutet und ihm alle Schuld an der Niederlage aufgebürdet, ob nun berechtigt oder nicht.“

„Haben wir tatsächlich so erlebt“, meint Pia: „Gegen den Tabellenletzten hatten wir mit einem bombensicheren Sieg gerechnet, uns nicht genügend angestrengt und elend knapp verloren. Schnell die arme Gaby dafür verantwortlich gemacht, ein paar angeblich sichere Bälle nicht verwandelt zu haben. Alles furchtbar emotional und schädlich für uns alle, aber wie unter Zwang, wir konnten nicht aufhören damit!“

Softy etwas wehmütig: „Die Rechnung ist ganz einfach: Ich lade einer von euch alle Schuld auf und spreche dafür die restlichen fünf Mädels von jedem Versagen frei. Ist doch in der Summe weit besser als alle sechs zugleich seelisch runterzuziehen. War doch im Mittelalter gang und gäbe und auch heute wieder satt im Kommen: Ein paar wenige niedermachen oder sogar ruinieren, dafür satten Zufluss für die mobbende Mehrheit…“

„Puh…“ Pia fällt es wie Schuppen von den Augen: „Unser Autoschlüssel weg und wir in Panik. Sicherlich hat der kleine Bruder ihn versteckt, aber der weiß angeblich von nichts. Die Wohnung tagelang auf den Kopf gestellt: Nichts. Sogar ein Auto ausleihen müssen. Den Kleinen dauernd schief angeschaut. Eines Tages Auto- und Ersatzschlüssel zugleich in einer Jackentasche wiedergefunden. Daran hätte man doch vorher denken müssen, bevor man den unschuldigen Kleinen zum ‚Sündenbock‘ macht…“

„Ja“, meint Softy, „Mein Notprogramm für fast leere Fässchen ist nun mal zwanghaft. Kann es doch nicht riskieren, dass der Pegel noch weiter fällt und mein Mensch mit gänzlich leerem Fässchen in eine Depression fällt und nicht mehr lebensfähig ist oder sich was antut, sich bis aufs Blut ritzt oder sogar umbringt?“ Pia saugt das auf wie ein Schwamm…

„Habe im Übrigen noch mehr ‚Notprogramme‘ unter meinen Tools: Schwarz-Weiß-Malen, zum Beispiel. Im menschlichen Leben gibt es überall Grautöne, nichts ist wirklich eindeutig: Bei niedrigem Stand im Fässchen kann ich aber nicht mehr gut rechnen und dann wird aus den aufwendig zu denkenden Grautönen eben einfaches schwarz-weiß und nichts mehr dazwischen.

Oder ich blende aus geistiger Verarmung einfach aus, was mich überfordert, ‚Ideologie‘ nenne ich das. Wie Scheuklappen an einem Pferd, das nur das sehen soll, was sein Kutscher für zumutbar hält. Schon mal gehört? Alle Menschen sind gleich oder so? Sind sie nicht!“ Pia und Fee zugleich wie vor den Kopf geschlagen…

Pia fängt sich schnell: „Hast du etwa noch mehr auf Lager?“ Softy reichlich amüsiert: „Am allerliebsten ist mir mein Fata-Morgana-Tool!“ „Etwas vortäuschen, echt jetzt?“ Pia irritiert. Softy weiter: „Was soll ich denn machen, wenn nichts mehr im Fässchen ist, Not am Mann und seelische Energie fürs schiere Überleben im Moment der Entscheidung gebraucht wird? Dann muss ich wohl oder übel einen Zufluss eben simulieren mit der vorsätzlichen Täuschung: ‚Du schaffst das‘ und alles wird gut! Selbst wenn ich längst ahne, dass der sich überschätzt und das nie und nimmer klappt.

Hauptsache durch pure Einbildung im kritischen Moment schnell seelische Energie ‚erzeugt‘. Was bleibt mir denn übrig?

Noch viel mehr seelische Energie erschaffe ich quasi aus dem Nichts, indem ich dem in Not Befindlichen das Gefühl gebe und ihn glauben lasse, von einem ‚höheren Wesen‘ beschützt zu werden. Glaube bringt eine Menge seelischer Energie ein, manche können ohne den seelischen Zufluss aus ihrem Glauben, einer perfekt von mir inszenierten Einbildung, gar nicht mehr leben…“ „Kann ich gar nicht glauben!“ wehrt sich Pia.

„Der Glaube an etwas machtvolles Beschützendes, sei es ein Gott, ein Guru, Kügelchen oder was weiß ich, ist doch mein ältestes und lebenswichtigstes Urprogramm überhaupt: Schon immer hat das die Menschheit dringend gebraucht. Auch heute noch nicht von der Hand zu weisen! Wirklich, du meinst, du glaubst an nichts?

Wohl schon vergessen? Im Urlaub die krasse Überfahrt zur Insel, hast du da nicht bei jeder höheren Welle ‚Gott, hilf uns‘ gerufen? Und was ist mit dem Talisman an deinem Rucksack, der dir Glück bringen soll? Oder den Kügelchen, die dir deine Mutter gibt, wenn es dich im Hals kratzt? Alles nur Einbildung, aber es hilft dir, wie du weißt. Füllt dein Fässchen umso mehr, je fester ich dich daran glauben lasse. Und alles von mir absolut glaubhaft in Szene gesetzt: Illusion pur, voll am Verstand vorbei, aber höchst nützlich – und bitter nötig…“

Pia aufgewühlt: „Und wenn auch der Glaube nichts nützt, was dann?“ „Nun, wenn alle Stricke reißen, kann ich gar nicht mehr anders, als im kritischen Moment eines leeren Fässchens den seelischen Zufluss durch Medikamente oder Drogen chemisch zu simulieren. Das machen Ärzte bei Depressionen doch auch. Drogen docken an den gleichen Glücks-Rezeptoren im Gehirn an wie echte Glückserlebnisse. Was soll ich denn machen? Etwa den Absturz in die Depression riskieren? Dann organisiere ich lieber den Griff zu Zigaretten, Alkohol oder sonstigen Drogen. Hauptsache, es hilft im kritischen Moment…

Zum echten Problem wird das aber, wenn Drogen statt zur seltenen Überbrückung schwerer seelischer Einbrüche zur Gewohnheit und zur Bewältigung täglicher Belastungen missbraucht werden. Gelingt es nämlich nicht, sein Fässchen aus dem täglichen Leben heraus mit seelischer Energie zu füllen, übernimmt die Droge früher oder später die Regie und zwingt dich in eine Sucht, um die sich dann alles dreht. Jede Sucht wirkt aber auf Dauer körperlich und seelisch zerstörerisch. Drogen sind Gift für den Organismus, manche zerschießen nachweislich das Gehirn.

Es liegt an dir, ein Leben zu führen, welches genügend seelische Zuflüsse für dein Fässchen ohne schädliche Drogen und Süchte erbringt. Wenn dein Fässchen stets wohl gefüllt ist, wirft dich auch so leicht nichts um, ‚Resilienz‘ nennt man das…“

Pia nachdenklich: Wie sollte das denn gehen?

Kapitel 6: Wie man seinen inneren Pegel ausgleicht

Softy nun ganz ernsthaft: „Liebe Pia, es ist deine und damit auch meine Lebensaufgabe, den seelischen Pegel in deinem Fässchen auf ausgeglichener Höhe zu halten, damit du für dich Erfolge und damit genügend seelische Energie erarbeiten, aber auch an andere denken und dich rundum wohl fühlen kannst.

Ein hoher Pegel lässt dich gut und sozial, ein sehr niedriger egoistisch und rücksichtslos werden. Ich weiß, dass ich da seltsam programmiert bin, aber ist dein Fässchen wohl gefüllt, bist du fröhlich, hoffnungsvoll und mutig, bei fast leerem Fässchen fühlst du dich in der allergleichen Situation traurig, hoffnungslos und minderwertig.

Vielleicht hast du das Glück, gut in deine Familie eingebunden zu sein und dort Verständnis und Unterstützung in wirklich allen Lebenslagen zu bekommen, selbst dann, wenn du wegen leerem Fässchen auch mal komplett ausflippst, bockig und unausstehlich bist.

Doch wenn es dir wieder besser geht, wäre es fair, die dir geschenkte seelische Energie auch wieder zurückzugeben und deinerseits Unterstützung zu bieten.

Schön wäre ein Freundeskreis, der dein Fässchen füllt und dich seelisch mitträgt, wo du auch ernsthafte Probleme besprechen und tätige Hilfe erwarten aber auch geben kannst.

Spontane oder sportliche Bewegung und genussvolle Erlebnisse wie Musik und Tanz, der Umgang mit Freunden oder angenehmen Menschen bringt besonders viel seelische Energie.

Allerdings gilt es früh zu erkennen, dass es auch Menschen gibt, die deine Gutmütigkeit ausnutzen. Das kannst du daran erkennen, ob sich dein Fässchen auf Dauer füllt oder leert, du dich dabei gut oder mies fühlst. Es hilft dann nur, dich entschlossen abzugrenzen und nicht zu warten, bis dein Pegel und damit du selbst am Boden bist.

Traue auch meinen Signalen: Mache ich dir ein schlechtes Gefühl, hat das seinen guten Grund und soll dich zum Denken bringen, ob das wirklich in Ordnung ist, was du da tust oder einfach so zulässt. Und – Drogen lösen keine Probleme, sie schaffen noch viel größere…
Sei weiterhin so neugierig und mutig! Und denk‘ an dein Fässchen!“
Kleine Pause: „Es war mir ein Vergnügen…“

16.04.2024