22 Drogen

Inhalt: Drogen können Einbrüche im psychischen Pegel schnell und mit wenig Aufwand lindern und haben daher in der Menschheitsgeschichte einen nicht zu unterschätzenden evolutionären Vorteil gebracht. Die Frage ist nicht Drogen oder keine, sondern ein bewusster Umgang mit diesen. Und das lebenslang.

Was tun, wenn Hochgefühle überhaupt ausbleiben und die Gefühlswelt im Ordinären und Langweiligen zu versinken droht? Der psychische Pegel immer weiter fällt? Sich ein immer breiterer Graben zwischen Bedürfnissen und deren Befriedigung auftut? Selbst hochrisikobehaftete Sportarten wie Klettern, Klippenspringen, erotische Abenteuer oder auch aggressive, für alle gefährliche Verhaltensweisen wie die Raserei mit dem Auto die bedürftige Seele nicht auf Dauer stillen können?

Die Arbeitsweise der neuronalen Netze gibt ja das Rezept mehr oder weniger vor: Eine eingefahrene Lebensweise vermittelt eine sichere Basis, bringt aber durch Gewöhnung der Netze immer weniger psychischen Ertrag. Dann und wann müssen herausragende Ausnahme-Erlebnisse her, die die Netze kurzzeitig überschwemmen und fassweise psychische Energie freisetzen, von der es sich wieder eine zeitlang gut leben lässt. Hautnahe Naturerlebnisse, Kunstgenuss, spezielle Festivals oder Gänsehaut verursachende Liebeleien mögen hier als Beispiele dienen.

Genügend zeitlicher Abstand zwischen solchen Spitzenerlebnissen sorgt dafür, dass die Netze wieder zu ihrem sicheren Zustand zurückkehren, zu ihrer ursprünglichen Sensibilität zurückfinden und erneut Bedürfnisse, aber auch hohe Belohnungserwartung in Form von Vorfreude und daraus geschöpfter Motivation entwickeln können.

Gerade Ausnahme-Erlebnisse sind leider oft mit entsprechend großen Risiken für das bestehende, als langweilig empfundene Lebensmuster verbunden und bedürfen hoher Intelligenz und Einsatzfreude, um nicht durch Fehleinschätzungen und kurzsichtige emotionale Überreaktionen im Desaster zu enden..
Und erwischt oder gar verletzt zu werden ist auch nicht gerade eine erstrebenswerte Option.. Und wenn das alles nicht ausreicht?

Dann bleiben immer noch Drogen aller Art, sich das oft mühsam zu erarbeitende, ‚echte‘ Erfolgsgefühl ganz ohne lästigen Aufwand eben auf chemischem Wege zu verschaffen. Das beginnt bereits mit dem Verzehr von Zucker, der ohne wesentlichen Stoffwechsel als chemische Energie zum Einsatz kommen kann, für den Organismus als besonders effizient gilt und der Algorithmus daher umgehend und reichlich psychische Energie als Belohnung ausschüttet.

Eine Verneigung vor der ‚Zuckersucht‘, indem nicht nur in Schokolade und Gebäck, sondern auch in Quark, ja sogar in einem Glas saurer Gurken Zucker enthalten ist. Nur der Moment der Befriedigung zählt. Eine Belastung für die Regelung des Blutzuckers, längerfristige körperliche Verschlechterungen, Gewichtszunahme oder kariöse Zähne müssen da wohl in Kauf genommen werden. Allein sich von einem Übermaß an Zucker zu emanzipieren, eine wirklich heldenhafte Aufgabe..

Jedes Übermaß birgt indes die Gefahr, durch Überlasten der jeweils zuständigen Rezeptoren im Gehirn diese fast ‚blind‘ werden zu lassen, so dass sie ’normale‘ Erfolge schon gar nicht mehr registrieren.

In den heutigen gesellschaftlichen Strukturen befindet sich der Mensch fast prinzipiell in mehr oder weniger starkem psychischem Defizit. Nicht nur die Sättigung im Wohlstand wird zum Problem, sondern den gegenwärtigen Level überhaupt halten zu können. Vor allem bewusste wie unbewusste Ängste vor einer kaum einschätzbaren, als unsicher empfundenen Zukunft zehren am psychischen Pegel. Unter dem entsprechend auflaufenden Stresspegel lassen die neuronalen Netze einen Erfolg nur noch zu einem Bruchteil ihrer originalen Stärke spüren, fahren die ursprünglichen Fähigkeiten herunter und beschneiden damit die Möglichkeiten, weiter psychische Energie zu gewinnen.

Da psychische Ausgeglichenheit im realen Leben immer mühsamer zu erreichen ist und Einbrüche im psychischen Pegel nicht mehr ohne weiteres durch erfolgreiche eigene Aktionen ausgeglichen werden können, wird der Gebrauch von Drogen früher oder später zum normalen täglichen Leben gehören müssen.

Das tut er in Teilen bereits heute, z.B. mit Alkohol und Nikotin, aber auch mit einer Vielzahl weiterer Drogen, oft gut durch vorgespielte Normalität verdeckt:
Auf einer Geburtstagsparty schwärmt ein neben mir sitzender, mir völlig unbekannter Mensch reiferen Alters, früher als Arzt tätig, von der ‚heilenden‘ Wirkung von Ketamin, das er schon seit Jahrzehnten einnähme und das er nie mehr missen möchte..

Die Gesellschaft hat den Kampf gegen den immer wichtiger werdenden psychischen Ausgleich durch Drogen längst ‚verloren‘. Ihr bleibt lediglich die Aufgabe, durch intensive Aufklärung und ein ‚Qualitätsmanagement‘ den Konsum von Drogen nach Art und deren gesundheitlichen und psychischen Folgen zu steuern. Dem kommen Gesellschaften in der Regel auch nicht annähernd nach.

Man konzentriert sich fast ganz auf die Bekämpfung des Drogenhandels um den Zugang zu erschweren.
Warum eigentlich Kampf? Das Bedürfnis nach Drogen ist doch naturgegeben?

Die ganz prinzipielle Frage: Drogen verbieten und deren Handel bestrafen oder zu akzeptieren, dass die meisten Menschen durch ihr labiles ‚Betriebssystem‘ zumindest zeitweise auf diese oder jene Droge angewiesen sind und oft psychisch anders gar nicht existieren können?

Nicht nur über die schädlichen Wirkungen von Drogen zu berichten, sondern bewusst zu machen, wie der menschliche Algorithmus arbeitet und ihn in seiner Aufgabe unterstützen, so viel psychische Energie zu erarbeiten, dass Drogen höchstens im Notfall zur Anwendung kommen müssen?

Ist es nicht Sache jedes aufgeklärten Einzelnen selbst darüber zu entscheiden, wann, wie und wo er seine psychische Balance aufrecht erhält?
Drogen ganz und gar in den Bereich der Selbstverantwortung gehören?

Das Hauptproblem bei Drogen ist ja die Kontrolle des eigenen Verhaltens: Solange Drogen hohe Qualität aufweisen und ganz bewusst zum kalkulierten Genuss konsumiert werden, besteht nur wenig die Gefahr einer Entgleisung. Was aber, wenn der eigene Algorithmus bei einem starken psychischen Einbruch den Verstand ausschaltet und die Einnahme von Drogen erzwingt?

Von irgendwelchen Misch-Masch-Drogen, Hauptsache schnell raus aus dem Tief? Und daraus ein Dauerzustand wird? Wird ein richtiges ‚Drogen-Management‘ als Teil des täglichen Lebens für Jeden nötig werden?
Es sieht sehr danach aus und die Gesellschaft sollte ihre aufklärende und unterstützende Rolle frühzeitig wahrnehmen.

Leider kommen nicht nur ‚vernünftige‘ Erwachsene mit Drogen in Berührung, sondern auch eher labile Charaktere und bereits Kinder und Jugendliche. Bei deren besonders labilem psychischem Kartenhäuschen sind starke Schwankungen ja an der Tagesordnung. Sogar Erwachsene bemühen sich oft lebenslang erfolglos um mehr psychische Stabilität und Resilienz.

Dazu kommt, dass Kinder und Jugendliche weitgehend in ihrer eigenen, abgeschirmten Gefühlswelt und unter dem Einfluss ihres Umfelds, z.B. ihrer ‚Peer-Group‘ leben und Eltern oft nicht die geringste Ahnung davon haben, was in ihren Sprösslingen so vorgeht, geschweige denn, was sie treiben.. Oder welche tiefsitzenden Bedürfnisse sie haben, z.B. nach Anerkennung und Vorbildern.

Alles soll schön unter der Decke bleiben und da passt ein Gang zur Apotheke, um dort für alle sichtbar ’saubere‘ Drogen zu kaufen gleich gar nicht ins Konzept. Konspirativer Handel im Dunkel des Stadtparks schon eher.. Man will ja nicht zugeben, dass man ‚Drogen braucht‘.

Keiner kann Interesse daran haben, sich in einer ‚Drogen-Gesellschaft‘ mit dauerberauschten oder zumindest in ihrem originären Verhalten spürbar beeinträchtigten ‚Soft-Junkies‘ wiederzufinden.

Doch tritt die Versuchung, zum ersten Mal Drogen zu nehmen, ja gerade in herausfallenden, vorher noch nicht erlebten Situationen an den dadurch verunsicherten User heran. Die Entscheidung fällt dann spontan und unter dem Einfluss der verführerischen Atmosphäre. Ganz ohne Vorbereitung ist die Gefahr groß, von der Situation überrumpelt zu werden, zu spät oder erst nachher zu realisieren, einen schweren Fehler gemacht zu haben.

Daher ist tiefgreifende Aufklärung das einzige Mittel, auf ganz besondere Szenarien gefasst zu sein und mit mental ‚vorgefertigtem‘ Verhalten ‚richtig‘ darauf reagieren zu können. Das nötige Wissen und Verstehen der Zusammenhänge hat nur dann die Chance einer Akzeptanz, wenn sie in der jeweiligen altersgerechten ‚Sprache‘ vermittelt wird.

Wird weiter bearbeitet und ergänzt..

Bildnachweis:
Amaviael/Shotshop.com          Raucher