Was steuert mich?

Dass unsere Software sehr spezielle Eigenschaften hat und unsere Wahrnehmung stark modifiziert, ist offensichtlich. Aber nach welchen Kriterien? Es waren vielfach selbst erlebte Ausnahmesituationen, die mich in meinen Überlegungen weiterbrachten.

Sophie war jung, schön und überaus begehrenswert. Wie verliebt ich in sie war! Skeptische Bemerkungen von Freunden ließ ich nicht gelten, für mich war sie ein Engel. Im Rausch der Gefühle sah ich gleich die ganze Welt in Rosarot.

War ich aber in melancholischer Stimmung oder im Stress, legte sich ein dunkles Tuch über alles. Die schönsten Dinge des Lebens drangen nicht mehr zu mir durch, bauten meine Seele nicht mehr auf. Stattdessen machten sich bedrückende Ängste breit. Meine Software bestimmte also auch über meine Gefühle? In objektiv gleichen Situationen konnte sie mich entweder aufbauen oder niederdrücken.

Damals fuhr ich ein kleines englisches Cabrio, einen MG-B, der mir sehr ans Herz gewachsen war. Der schöne Griff um das Leder am Lenkrad. Wann immer die Sonne schien, fuhr ich ohne Dach durch die Welt, am liebsten mit meiner geliebten Sophie neben mir.

Mein MG-B

Einmal bin ich allein unterwegs und hänge auf der Landstraße hinter einem anderen Wagen, Ford Taunus 12m. Objektiv gesehen fährt der mit durchaus angemessener Geschwindigkeit. Ich habe Zeit im Überfluss. Allein das Fahren mit meinem schönen Wägelchen könnte die reine Freude sein.

Doch hat der Tag nicht gut angefangen. Ich komme mit Sophie nicht mehr zurecht. Sie ist unzufrieden, ich kann ihr nichts mehr recht machen und weiß nicht einmal warum. Denn sie sagt nichts.

Ich fühle mich hilflos. Ich spüre geradezu körperlich, wie sich Wut in mir breitmacht und auf meine Seele drückt. Irgendetwas muss passieren, sonst platzt mir noch der Kragen.

Plötzlich der überraschende Impuls aus dem Bauch heraus: Wie lange willst du diesem lahmen Trödler denn noch hinterherfahren? Der Taunus stinkt, überhol’ den doch endlich! Die Straße schlängelt sich in leichten, aber unübersichtlichen Windungen dahin. An Überholen gar nicht zu denken.

Doch die innere Stimme gibt nicht nach, tief aus meinem Bauch drängt sie, es dem Trödler da vorne „mal zu zeigen“. Mit dem kleinen Flitzer schaffst du das mit links, 95 PS!

Welcher Widerstreit! Mein Verstand will einschreiten, warnt vor dem hohen Risiko. Wenn es schiefgeht, kann es tödlich sein. Und was hast du gewonnen, wenn es gut geht? Ein paar lächerliche Sekunden vielleicht. Du wärst bescheuert, ein solches Risiko einzugehen! Aber irgendetwas dreht den warnenden Verstand immer leiser, bis er schließlich der auftrumpfenden Stimme aus dem Bauch nachgibt.

Auf Teufel komm‘ raus Vollgas gegeben und ausgeschert.

Aber der Wagen zieht nicht ganz so schnell wie erwartet durch. Eine vorher nicht bemerkte leichte Steigung. Die nächste Kurve viel zu schnell erreicht. Wenn jetzt einer entgegenkommt? Und tatsächlich! Ich im letzten Moment panisch eingeschert, der Trödler muss hart bremsen, mein MG-B bricht aus, schlingert und lässt sich nur mit Mühe wieder auf Kurs bringen. Der Taunusfahrer hupt verärgert – aus gutem Grund!

Ich bin fix und fertig. Ich hatte gerade mein Leben und das anderer zwanghaft und fahrlässig aufs Spiel gesetzt! Warum eigentlich? Mein Bauch hatte mich dazu aufgefordert, es dem Trödler mal zu zeigen. Die paar gewonnenen Sekunden waren sicherlich nicht der Grund. War ich noch bei Trost?

Ich fühlte deutlich: Mein Bauch, meine Software, brachte mich dazu, Macht auszuüben. Und irgendwann wurde mir klar, dass es meine grenzwertige Seelenlage sein musste, die mich zwang, dieses irre Risiko einzugehen. Ich konnte nichts dagegen tun. Gar nichts.

Dieses russische Roulette konnte keinesfalls in meinem Interesse gewesen sein! Aber in wessen Interesse dann? Konnte es denn sein, dass meine Software unter dem Zepter eines noch höheren Interesses stand? Einer Instanz, die mich und mein Verhalten nach eigenen Kriterien manipulierte? In ihrem Interesse, nicht in meinem?

Später erklärte ich es mir so: Mein seelisches Konto war spürbar leer. Meine Software fokussierte sich darauf, meinen seelischen Pegel um jeden Preis wieder anzuheben. Es ging einzig und allein darum, mir durch diese Machtausübung des Überholens seelische Energie zuzuführen und damit meinen drohenden seelischen Zusammenbruch zu verhindern. So wurde beim Überholen des Taunus im Grunde mein Auto nicht durch michgesteuert sondern durch meine Software.

Ohne seelische Energie läuft nichts

Seelische Energie, auch psychische Energie genannt, was soll man darunter verstehen? In der Fachwelt ist seelische Energie ein höchst unscharfer, nicht eindeutig definierter Begriff. Eine einfache Frage: Wie gewinnen wir seelische Energie und wie verlieren wir sie?

Wir vergleichen: Schon beim Aufwachen scheint die Sonne und der Morgenkaffee mit der wohlgelaunten Familie schmeckt Ihnen vorzüglich. Die Verkehrslage ist bestens. Im Büro wartet eine motivierende Aufgabe auf Sie und Ihre Kollegin hat Kuchen mitgebracht. Seelische Energie fließt Ihnen reichlich zu: Ein guter Tag.

Oder: Regenwetter und Kopfschmerzen ziehen Sie runter, die Kinder nerven schon beim Frühstück. Der Verkehr ist chaotisch. Sie sind zu spät, der Chef braucht Sie dringend, eine lästige Besprechung steht an und die Kollegin ist kurz angebunden. Ihnen fließt seelische Energie in Strömen ab: Ein ausgesprochen mieser Tag.

Belohnungen und gute Aussichten tun der Seele gut, Frustrationen und schlechte Perspektiven rauben ihr Energie. So meine ersten Erklärungsversuche.

In diesem Buch gehe ich weiter. Nach meiner Überzeugung liegt es in der Natur des Menschen, einerseits durch „Erfolge“ möglichst viel seelische Energie zu erarbeiten. Andererseits sollte er möglichst wenig seelische Energie durch „Fehlinvestitionen“ und der daraus folgenden Enttäuschung und Frustration verlieren. Der Idealzustand ist ein ausgeglichenes seelisches Konto ohne Schuldenstand.

Ich fragte mich zuerst, worin der Unterschied zwischen körperlicher und seelischer Energie bestand. Dabei hatte ich stets das Bild vor Augen: Ein muskelbepackter, kräftiger Kerl hing wie ein Häufchen Elend herum, weil ihn seine Freundin verlassen hatte. Die Trennung kostete ihn viel seelische Energie, sein Konto war komplett leer. Körperliche Energie hatte er im Überfluss. Doch er konnte sie augenscheinlich nicht einsetzen, weil ihm der seelische Antrieb fehlte. Somit ist klar:

Seelische Energie wird zur Steuerung des Organismus und Berechnung des Verhaltens gebraucht und körperliche Energie der Muskeln für die Ausführung.

Seelische Energie ist der Brennstoff für unser Empfinden und die Steuerung unseres Verhaltens. Wenn mein seelischer Akku leer ist, kann ich wie beim Handy keine Informationen mehr empfangen oder senden. Auch die Navigation und meine Apps funktionieren nicht mehr.

Fazit: Ohne seelische Energie ist weder Empfindung noch Steuerung möglich. Es gibt keine Motivation, tätig zu werden. Der Zusammenbruch droht.