18 Führung

Inhalt: Führung erfordert die Fähigkeit zu zielgerichtetem strategischem Denken mit Wissen und Verstehen der Zusammenhänge und einem besonderen ‚Händchen‘ für Umgang und Kommunikation mit Personal aller Hierarchiestufen. Nur mit einem psychischen Pegel in der Nähe der Ausgeglichenheit lässt sich fachlich und sozial ‚hochwertiges‘ Führen realisieren.

Zunächst einmal: Was passiert denn ohne Führung, ohne einen für alle verbindlichen Handlungsrahmen? In den meisten Fällen setzen sich dann unterste Bauch-Ebenen mit Gewalt und Chaos durch, analog dem physikalischen Prinzip, dass ein frei agierendes System von sich aus immer den höchsten Grad an Unordnung anstrebt. Eine Nacht ohne Straßenbeleuchtung oder Polizei, ein nicht abschätzbares Risiko mit der Folgerung: Führung ist unabdingbar. Aber wer sollte führen?

Wer Andere führen will, sollte zuallererst sich selbst führen können.

1961 bei der Bundeswehr eine Übung: Ein Spähtrupp mit 7 Mann und Truppführer. Befehl lautet: Feind-Aufklärung längs einer vorgegebenen Wegstrecke von ca. 15 km. Es sickerte durch, dass mit diversen ‚Überraschungen‘ zu rechnen sei. Die auf der Karte verzeichnete Route darf definitiv nicht verlassen werden.

Halber Meter Schnee und sehr kalt. Wir marschieren bereits eine Stunde lang in Reihe und geben ohne weiße Tarnkleidung gute Zielscheiben ab. Eine Waldzunge weiter vorn ragt von links in Richtung unseres Weges: Idealer Standort mit gut sichtbarem Vorfeld für einen Überraschungsangriff mit dem Maschinengewehr.

Der Truppführer bespricht sich unauffällig mit seinen Kameraden und plötzlich sind er und ein weiterer Soldat im Schnee verschwunden, während der restliche Trupp betont ‚sorglos‘ weitermarschiert, langsamer allerdings, um so lange wie möglich die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und aus der Reichweite des vermuteten MG’s zu bleiben.

Der Truppführer und sein Kamerad arbeiten sich indessen im Schutz der Schneedecke im Abstand seitlich an der Waldzunge entlang vor, dringen weiter hinten in den Wald ein und treffen in der Waldspitze tatsächlich auf ein MG-Nest mit vier Soldaten, darauf wartend, bis unser Trupp auf effektive Schussweite herangekommen wäre. Keiner sicherte nach hinten, also die vier gefangen genommen, das MG kassiert und den eigenen Trupp vor einem Desaster bewahrt.

Die zwei hatten aber dem Befehl zuwidergehandelt, weil sie die vorgeschriebene Route verlassen hatten.

Was war denn eigentlich der Sinn der Übung? Hätte sich der Trupp genau an den Befehl gehalten, wäre er ins MG-Feuer geraten (mit Platzpatronen) und fiktiv ausgelöscht worden. Ein zu hoher Preis für die Gewissheit, dass sich dort der Feind eingenistet hatte.

Der Truppführer war vom strengen Befehl abgewichen und hatte sich kreativ die Freiheit genommen, nach eigenem Ermessen zu handeln und musste dies auch, weil die Befehlsgebung der Führung kein wirkliches Ziel der Übung angegeben hatte, sondern eher mit dem laxen Spruch hantierte: „Lauft mal los und ihr werdet schon sehen, was passiert“…

Der Truppführer hatte weitergedacht und durch taktisch geschicktes Vorgehen nicht nur einen ‚Geländegewinn‘ erzielt, sondern auch noch die ihm anvertrauten Kameraden vor Schaden bewahrt. Bei der Schlussbesprechung hilflos-verhaltenes Lob…

Wie bei unserem Spähtrupp müssen für eine optimale Performance Freiräume eingeräumt werden, innerhalb derer eine angemessene Entscheidungsbefugnis zugestanden wird.

Erinnern wir uns an Roby, den kleinen Roboter (Kapitel 11: „Motivation“), der unter den vorgefundenen Umständen wie fiktiv wachsender ‚Hunger‘, ‚Wert des Apfels‘, seiner ‚Fähigkeit zu klettern‘, seinem ‚psychischen Status‘ und ‚sozialen Argumenten‘, selbst entscheiden muss, ob er (fiktiv) auf den Baum klettert oder nicht. Gibt man Roby diese Freiheit, delegiert diese Aufgabe an ihn und vertraut Robys Programmierung, hat auch der ‚Master‘ von Roby mehr Freiraum für eigene, ‚höherwertige‘ Überlegungen und Tätigkeiten, für strategische oder Führungsaufgaben, beispielsweise.

Jeder sollte das Anspruchsvollste tun, zu dem er fähig ist. Das bringt ihm psychisch am meisten und seinem Umfeld auch…

Genau in dieser Bedingung ‚und vertraut dessen Programmierung‘ liegt – auf die Natur des Menschen bezogen – ein schwer einschätzbares Risiko. Denn der Mensch verfügt eben nicht über einen ‚mathematisch definierten‘ Algorithmus, der sein Verhalten zu jeder Zeit nachvollziehbar und berechenbar macht, sondern es besteht im Gegenteil eine starke Abhängigkeit von seinem momentanen psychischen Pegel, der weithin Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität bestimmt.

Gute ‚Eigenführung‘ bedeutet hierbei, sich selbst effizient zu organisieren, z.B. indem man einen hohen Pegel dazu nutzt, um strategische oder sozial anspruchsvolle Aufgaben anzugehen und bei eben weniger hohem Pegel tatsächlich eher das banale Tagesgeschäft abzuarbeiten.

Eher kritisch, sich von den Anforderungen in die Defensive bringen zu lassen und nur noch passiv zu reagieren, statt aktiv zu gestalten.

Was lässt sich überhaupt unter ‚strategischer Denkfähigkeit‘ verstehen?

Sich um das eigene Auto zu kümmern ist Routine und lässt sich auf den Basisebenen der neuronalen Netze abwickeln. Nur wenig geistige Ressourcen und psychische Energie sind dazu nötig.

Ein neues Auto zu kaufen hingegen erfordert vergleichende Übersicht über viele Modelle, die bereits eine höhere und anspruchsvollere Denkebene benötigt (höhere geistige Flughöhe):

Wünsche an den Wagen definieren und den mit der besten Übereinstimmung aussuchen. Höhere Ebenen der neuronalen Netze mit entsprechend hohem Energiebedarf müssen in Anspruch genommen werden.

Wollte man neben dem Preis auch noch Umweltargumente und langfristige Entwicklungen berücksichtigen, bedarf dies einer noch höheren, ‚strategischen‘ Denkebene der neuronalen Netze mit besonders hohem Aufwand an psychischer Energie.

Um dem hohen Denkaufwand mit seinem enormen Verbrauch an psychischer Energie generell zu entgehen, fallen Entscheidungen – besonders bei niedrigem Pegel – daher oft genug auf Basisebene, ohne umfassende Kenntnisse, oft zuvor auf die lange Bank geschoben und schließlich so spontan wie emotional ‚aus dem Bauch heraus‘ mit dem eher vorgeschobenen Argument: „Dieser Wagen gefällt mir einfach und ist hier besonders günstig…“

Und wie soll jemand ohne übergreifende Denkfähigkeit ‚führen‘, wenn seine Untergebenen möglicherweise weiter denken als er selbst?

Eine gute Führung erfordert es, nicht nur klare, sondern auch sinnvolle und erreichbare Ziele zu formulieren, die von allen Hierarchiestufen zugleich akzeptiert werden können.

Dies bedeutet, dass der Führende selbst den Weg zum Ziel überblicken und dessen Herausforderungen verstehen muss und zudem einen machbaren Plan hat, diesen erfolgreich umzusetzen. Ohne diese Fähigkeiten wird er überfordert sein, in Stress geraten und schließlich ohne fachlich begründete Argumente seine Entscheidungen zur Machtfrage machen.

Im Streit um die Qualifikation einer neu einzustellenden Führungskraft geht es schließlich nur noch darum, wer die Macht hat ’sich durchzusetzen‘: Dabei ist noch nicht einmal klar, was genau die Aufgabe dieses neuen Mitarbeiters sein soll, geschweige denn, welche Eigenschaften und Fähigkeiten dieser dazu aufweisen müsste..

Dazu kommt, dass bei näherem Hinsehen ausgeprägt strategisches Denken und Führungsfähigkeiten bis hinauf zu den obersten Hierarchieebenen überhaupt sehr dünn gesät erscheinen, nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme darstellen und sich diese Fähigkeiten nur unter günstigen Rahmenbedingungen überhaupt entwickeln und förderlich auswirken können.

Kreative Denker kommen selten nach oben. Dort sind eher besonders laute Einfachdenker anzutreffen, deren Entscheidungen nicht auf fachlich profunder Basis, sondern nach Erfordernissen ihrer Machtstellung fallen.

Kaum zu glauben, aber ein erheblicher Teil der Menschen will wohl lieber geführt werden, statt den Aufwand zu treiben, selbst Ziele zu erdenken und Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen.

Fast vergessen die Frage, warum überhaupt ‚Führung‘ vonnöten sein sollte? Jeder könnte sich doch ohne Weiteres in die Gemeinschaft eingliedern und dort für sich, Firma oder Gesellschaft das Bestmögliche tun?

Nicht nur die Psycho-Mathematik, auch die zu beobachtende Praxis des täglichen Lebens untermauern die Einschätzung, dass der menschliche Algorithmus bestenfalls als stark fehlerbehaftete ‚Beta-Version‘ zu betrachten ist, die, wenn überfordert, zunächst eine Rückentwicklung (Regression) erleidet und dann zwangsläufig auf gemeingefährliche ‚Urprogramme‘ aus ihrer Entwicklungsgeschichte zurückgreift.

Es ist nicht der ‚Geist‘, sondern der ‚Bauch‘, der im Zweifelsfall den Menschen regiert.

Warum hängen so viele Menschen noch wie im Mittelalter irgendeinem obskuren Aberglauben an, sprechen von Dämonen und Hexen, verehren zweifelhafte spirituelle oder machtgierige Führer, warum spinnen sie sich, statt sich ihres Verstandes zu bedienen, irre Scheinrealitäten zusammen und merken nicht einmal, dass sie unter Kindergartenniveau angekommen sind?

Unfassbar, sich sogar mit Waffengewalt um die Deutung von höchst fraglichen Überlieferungen von ‚Propheten‘ zu streiten, statt den Verstand zu benutzen und sich heutigen Zeiten gemäße Grundsätze zu erarbeiten.

Der Mensch ist zwar mehr oder weniger fähig und sozial angelegt, aber im psychischen Mangel entwickelt er sich zurück und bedarf wie ein Kind wieder der Führung. Je tiefer der psychische Pegel, desto mehr wird eine einschnürende und machtbetonte Führung akzeptiert.
Denn selbst zu denken ist nicht mehr möglich.

Dieser Qualitätsverlust trifft nicht nur sachliche, sondern eher noch stärker die sozialen Fähigkeiten, die ebenfalls strategische Eigenschaften auf höheren Denkebenen erfordern. Größere Teile des Gehirns sind für ‚Soziales‘ reserviert.

Wir wissen ja, dass alle Schichten der neuronalen Netze bis hinauf zu den höchsten Rängen in Anspruch genommen werden müssen, um ein gutes Ergebnis mit hoher Präzision und Detaillierung zu erreichen. Dies ist besonders für die Einschätzung der sozialen Interaktion von entscheidender Bedeutung:

In der Praxis zeigt sich, dass soziale Fähigkeiten, das ‚Einfühlen‘ in die psychische Lage seines Gegenübers und eine angemessene Reaktion darauf, von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt sind.

Autisten beispielsweise, können weder Gesichtsausdrücke deuten, noch am Verhalten die psychische Lage ihres Gegenübers erkennen, geschweige denn abschätzen, welche Verhandlungs-Spielräume überhaupt bestehen.

Da es infolge der ‚natürlichen‘ riesigen Streuung aller Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen Übergangsformen jedweder Art auch für soziale Kompetenz gibt, ist es beispielsweise für den sozialen Umgang von großer Bedeutung, über welches Maß an sozialer Kompetenz z.B. ein Verhandlungspartner zum Zeitpunkt der Verhandlung verfügt.

Schätzt man ihn zu egoistisch ein, werden Vorteile einer möglichen Kooperation nicht zum Tragen kommen können, setzt man wiederum die Kooperationsbereitschaft als zu hoch voraus, besteht die Gefahr, selbst egoistisch über den Tisch gezogen zu werden.

Verhandlungen werden umso besser gelingen, je zutreffender die Einschätzung seines Gegenübers und seiner Ziele in fachlicher wie auch sozialer Hinsicht gelingt. Umso stärker dann die Resonanz der neuronalen Netze beider und desto besser der übertragbare Informationsfluss.

Ein bisschen viel verlangt, zumal fachliche wie soziale Parameter bereits im Laufe eines Gesprächs sich sehr dynamisch mit dem psychischen Pegel der Beteiligten ändern können. Daher ist zu erwarten, dass selbst fachlich und sozial sehr fähige Menschen nur einigermaßen gute Ergebnisse erzielen können.

Eine rühmliche Ausnahme bilden höchstens Gesprächspartner mit ähnlicher Denkweise, die Vertrauen zueinander haben und sich auf fachlicher wie sozialer Ebene ‚verstehen‘. Daher laufen viele erfolgreiche Projekte über gut organisierte Netzwerke besonders fähiger Beteiligter. Oder es bedarf der Nachhilfe:

In der hohen Politik wiederum hängt man dem umgekehrten Verfahren an: Verhandeln, verhandeln, stundenlang, bis auch kein Funke von Verstand und Übersicht mehr zu erkennen ist und alle zugleich auf niedrigstem Niveau angekommen sind mit dem Ergebnis: Keine Strategie, kein Plan, nur Stückwerk…

Die können es nicht? Strategisches und soziales Denken wie auch ‚Führung‘ muss doch zu lernen sein? Ab zur Weiterbildung, es gibt doch ‚Führungs-Seminare‘ zuhauf? Mal sehen…

Vergebliche Liebesmüh‘

Lange her die 60er-Jahre: Tobias, Leiter der Entwicklungsabteilung ‚Elektronik‘, schikaniert seine Mitarbeiter und lastet ihnen seine eigenen Fehler an. Er ist zum Problem geworden. Genauer gesagt: Fachlich schwach und sozial unfähig. Ein Missgriff. Im Grunde will keiner mit ihm etwas zu tun haben.

Aus einer damals ‚über-sozialen‘ Haltung und völlig übertriebener Rücksichtnahme heraus quält man sich Jahre mit ihm herum. Man mahnt ihn, versucht auszugleichen, alles wirkungslos. Die Entwicklung stagniert, seine Mitarbeiter sind am Ende, belastet und unmotiviert, werden krank. Es ist nicht mehr auszuhalten. Als allerletzte Hoffnung auf Besserung schickt man ihn für viel Geld zu einem Führungsseminar in die Schweiz.

Wieder zurück von der Fortbildung, fragt ihn sein Chef, was er von dem Seminar mitgenommen habe. Der frisch Geschulte mustert ihn von oben herab und fragt, ob auch er, sein Chef, schon einmal an solch einem Seminar teilgenommen habe.

„Nein, warum?“, meint dieser arglos. „Dann sind Sie für mich kein adäquater Gesprächspartner“, erwidert er arrogant. Keine Spur von Selbstkritik oder Einsicht. Er hat aus dem Seminar nur mitgenommen, was seine Unfähigkeit und Arroganz noch verstärkt hatte. Kündigung, Aufatmen und auf zu neuen Ufern. Viel zu lange gewartet und gelitten.

Fähigkeiten zu ‚strategischem Denken‘ und zu ‚Führung‘ lassen sich nicht systematisch erzwingen, wohl aber, so im Ansatz vorhanden, fördern und entwickeln, immer in dem Bewusstsein, dass solch ‚höhere Fähigkeiten‘ – wie auch Kreativität – nur dann nachhaltig zur Entfaltung kommen können, wenn diese von höheren Hierarchie-Ebenen systematisch gefördert und gepflegt werden. Um kreativ wirken zu können, bedarf es besonderer Voraussetzungen.

Denn wie schon in früheren Kapiteln dargelegt, ist der ‚höher Denkfähige‘ ohne entsprechend ‚höheren Schutz‘ schnell Neid und Missgunst seines sozialen Umfelds ausgesetzt. Weniger fähige Kollegen fühlen sich zurückgesetzt und Vorgesetzte fürchten die Konkurrenz, wenn da Einer die Dinge schnell durchschaut, Ideen hat und sich im Niveau seines Denkens und Könnens allzu stark abhebt.

Für die Firma Zugpferd, Gewinn und Überlebensfähigkeit, für sein Arbeitsumfeld ein dauernder psychischer Abfluss mit dem dringlichen Wunsch nach mundtot machen, mobben oder gar abschieben. Das suboptimale System wird mit allen Mitteln versuchen, seine Mittelmäßigkeit zu verteidigen.

So finden sich nachgewiesen kreative Ressourcen aus dem ‚eigenen Stall‘, je länger diese bereits ‚dabei‘ sind, durch das mittelmäßige System dermaßen stark ‚domestiziert‘, dass ihr kreatives Potential oft nicht einmal dann noch zur Entfaltung kommen kann, wenn der Kreative auf eine Führungsposition gehoben werden sollte.

Auch im Einstellungsgespräch hat der von außen kommende Sensibel-Kreative Nachteile, liegen doch seine Fähigkeiten auf hohen mentalen Ebenen und sind daher besonders empfindlich gegen den Stress der Situation. Daher gilt es als anspruchsvoll, kreative Potentiale eines sich Bewerbenden überhaupt zu erkennen, geschweige denn ihn gegen mittelmäßige, aber sehr von sich überzeugte Konkurrenten und die Gegenströmung eines eher banal agierenden Umfelds zu fördern.

Insgesamt erscheint die Wahrscheinlichkeit groß, dass nicht wirklich umfassend leistungsfähige und für die Organisation engagierte Persönlichkeiten mit Sozialkompetenz nach oben kommen, sondern eher von Anfang an auf Machtpositionen strebende und konsequent eigene Interessen verfolgende Zeitgenossen. Machtpositionen zeigen sich als bestes Mittel, selbst schwerwiegende fachliche und soziale Defizite zu verbergen.

‚Führen‘ erfordert heute umfassendere Fähigkeiten als noch vor Jahrzehnten, in denen eine strenge Trennung zwischen Funktion am Arbeitsplatz und dem privaten Leben des Arbeiters als selbstverständlich galt. Der hatte zu ‚funktionieren‘. Im Übrigen dienten Sonn- und Feiertage zur Erholung im Sinne einer Wiederherstellung der Arbeitskraft.

„You can bring the body, but leave the head and heart at home.“

„Du kannst den Körper mitbringen, aber Kopf und Herz zu Hause lassen.“

Tin Lizzy

Das Zitat wird Henry Ford (1863 – 1947) zugeschrieben, dem amerikanischen Industriellen und Gründer der Ford Motor Company.

Nicht ganz zu Unrecht hatte er angenommen, dass Emotionen und persönliche Gefühle die Fähigkeit beeinträchtigen können, die sich immer wiederholenden, genau festgelegten Handgriffe am Fließband effektiv zu erledigen.

Denken oder gar ausufernde Gefühlsregungen hätten da nur das Risiko für Fehler und Verletzungen erhöht. Kein Wunder, dass diese mechanisch ausgeführten Routinen in der Folge in großem Maße durch Roboter übernommen wurden.

Heutzutage verwischen sich berufliche und private Sphären immer mehr, klare Schnittstellen verschwinden. In Zeiten großer, auch globaler Konkurrenz, ist vor allem kreative Leistung wichtig, die eben noch nicht mit KI, sondern nur mit einem ausreichend hohen fachlichen und psychischen Pegel der Beteiligten überhaupt erreichbar ist.

Der Mensch wird Kopf und Herz zur Arbeit mitbringen, so oder so…

Außerdem ist zu erwarten, dass Aufgaben geringen bis mittleren Niveaus – ähnlich wie Roboter das Fließband erobert haben – in absehbarer Zeit von KI-Programmen ähnlich ChatGPT übernommen werden können. Für den Menschen bleiben dann nur noch kreative ‚höherwertige‘ Einsatzfälle, die – vorerst – noch nicht durch ‚Künstliche Intelligenz‘ bewältigt werden können.

Der heutige Mensch wiederum sieht sich wachsenden Problemen und Unberechenbarkeiten ausgesetzt, die ihn psychisch belasten wie Inflation, Klimawandel, Bedrohungen durch Kriege, Flüchtlingsströme oder Unsicherheiten im Alter. Bereits die Organisation von ‚Familie mit Kindern‘ stellt, wenn beide Partner berufstätig sind, eine Herausforderung dar, die oft genug ein Leben im Dauerstress mit niedrigem psychischem Pegel nach sich zieht.

Wenn nun ein allseits höherer psychischer Pegel als unabdingbarer Erfolgsfaktor gilt, wer sollte dafür zuständig sein? Einfach alle… Es gibt nicht mehr hier die Firma, die für ihr Wohl zu sorgen hat und dort den Angestellten, der seinerseits seine Leistungsfähigkeit und Lebensqualität erhalten muss.

Ziel ist ein System, das Arbeitsleistung und Lebensgefühl gleichermaßen fördert.

Firmen reagieren auf diese neuen Anforderungen und bieten flexible Arbeitszeiten, Home-Office, aber auch in eigenen Räumen Annehmlichkeiten wie Büros vom Designer, Bewegungsräume, Meditationsräume, eigene Kindergärten, kostenlose Getränke und was auch immer.

Besonders wichtig erscheint die ‚Firmenkultur‘ selbst, indem vor allem Führungspositionen mit Menschen besetzt werden, die nicht nur führen wollen, sondern tatsächlich auch führen können. Denn Fehlbesetzungen in Führungspositionen werfen einen umso größeren Schatten, je höher sie angesiedelt sind und lassen die empfindlichen Pflänzchen von strategischem Denken, Kreativität und Engagement in der Belegschaft schnell dahinwelken.

Entscheidend für eine Führungskraft ist, auch unter Stress möglichst lange seine fachlichen und sozialen Kompetenzen zu behalten. Es bedarf der Resilienz, eines ausgeglichenen psychischen Pegels.

Um auch in Zeiten großen Mangels an Fachkräften konkurrenzfähig zu bleiben, wird es mehr und mehr zur Aufgabe des Arbeitgebers, gerade seine Leistungsträger aktiv zu fördern und ihnen auch jede Hilfestellung zu bieten, ihren psychischen Pegel hoch genug zu halten.

Auf Dauer eine aufwendige und zudem äußerst komplexe Aufgabe, da sich die individuellen Verhältnisse eines Jeden, ob Führungsperson oder eher Ausführender, jederzeit oder auch seinem Lebensalter gemäß ändern können.

Schicksalsschläge, Krankheit, Geldsorgen, das tägliche Ungemach oder auch bloße Überforderung ziehen den psychischen Pegel herunter, mindern fachliche und soziale Kompetenzen und die aufkommenden Ängste öffnen für alle Hierarchiestufen den Vorhang zu wenig ersprießlichen Urprogrammen wie Missgunst, ‚Sündenbock‘, Mobbing, starrköpfige Ideologie, Glaubensfragen bis hin zu übergriffiger Machtausübung und Willkür.

Im psychischen Mangel bedarf auch der Führende selbst der Führung…

Oder zumindest der Kontrolle. Und warum? Weil Macht einfach zu verführerisch ist: Mit einem Satz, einer kleinen Handbewegung, einem auch nur angedeuteten Stirnrunzeln alle nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, der reine Balsam für ein bedürftiges ‚Führungs-Ich‘.
Machtmissbrauch ‚aus dem Bauch heraus‘ ist allgegenwärtig.

Besuch des Geschäftsführers in der Niederlassung: Eine kleine bauliche Änderung für eine deutlich bessere Nutzung vorgeschlagen.
Beim ersten Wort bereits: „Das gefällt mir nicht…“, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht.  Vor Änderungen hat er eben Angst: Aus die Maus.

Emotionale Ausbrüche und Unberechenbarkeit von Führungspersonen machen Angst und jedem Engagement, geschweige denn kreativen Vorschlägen den Garaus. Und alles, um letztlich Ängste und Unfähigkeit des ‚Führenden‘ zu verdecken. Dabei wird oft die desaströse Wirkung von Hierarchiestufen weit unterschätzt.

Das größte Problem: Schweigen wie bei der Mafia, eine ungeschriebene ‚omertà‘ verhindert es, Fehlerquellen und Missstände zu identifizieren und damit auch, Abhilfe zu schaffen: Ein durchaus allgegenwärtiges Problem. Wohl begründete Angst vor den Folgen, sein Schweigen zu brechen und die Dinge ungeschminkt auf den Tisch zu legen. Nicht einmal nach der eigenen Kündigung kann man es wagen, Tacherles zu reden, da sonst das Arbeitszeugnis und die Chance auf einen guten nächsten Job darunter leiden könnte.

Hinter dem Schweigen über die wahren Zustände kann sich eine unfähige ‚Führung‘ gut verstecken..

Erinnern wir uns an die Eigenschaften von neuronalen Netzen: Wird diesen Rechenleistung auf höheren, strategischen Schichten abgefordert und dort aber keine oder zu geringe Fähigkeiten liegen, werden diese überforderten Schichten Ängste auslösen und der Mensch wird ‚aus dem Bauch heraus‘ und ‚ohne Sinn und Verstand‘ mit Abwehr und Aggression reagieren, ganz unabhängig davon, was da eigentlich ansteht.

Ähnlich destruktiv wirkt sich ‚Wetterwendischkeit‘, hoch subjektiver und unberechenbarer ‚Meinungswandel‘, Unzuverlässigkeit und Feigheit aus: Geht tatsächlich etwas schief, nicht etwa die wahren Gründe dafür aufgedeckt und die Fehler behoben, sondern schnell das Urprogramm ‚Sündenbock‘ aufgerufen, einen Missliebigen herausgedeutet und als Bauernopfer dargebracht.

Ein kleiner Schritt zur ‚Kontrolle‘ wäre eine Organisationsform, die jeder Führungskraft einen Vertreter zur Unterstützung zuweist. Dieser verfügt über ähnliche Qualifikation und auch Kenntnisbreite wie die Führungskraft selbst und kann nicht nur Urlaubs- oder Krankheitstage überbrücken, sondern – am wichtigsten – die Führungskraft von vielen Routinearbeiten entlasten und als Gesprächspartner eine ‚zweite Meinung‘ und damit eine Art „Vier-Augen-Prinzip“ bieten.

Dadurch kann es gelingen, einen höheren fachlichen wie psychischen Pegel der Führung zu realisieren und Abwärtstendenzen aufzuhalten, die das System in Gefahr bringen könnten.

Das Problem? Wenn sich die beiden gut verstehen, eine ausgespochen produktive Allianz mit Vorteilen für alle, wenn aber nicht, kann es leicht zu einer Dauerfehde kommen, bei der nur noch eigene Machtinteressen eine Rolle spielen und die Interessen der Firma auf der Strecke bleiben.

Personal psychisch zu stabilisieren erscheint nur dann möglich, wenn ‚man überhaupt weiß, was los ist‘. Rahmenbedingungen zur Selbsthilfe allein wie Ruhe- oder Sporträume, Kaffee und dergleichen werden da nicht ausreichen. Es ist der persönliche Kontakt, der sogar Hierarchiestufen einebnet, der Ursachenfindung und wirksame Unterstützung erst ermöglicht.

Als ‚Idealvorstellung‘ die Arbeit in einer Firma, die sich durch gegenseitige Unterstützung wie eine ‚große Familie‘ anfühlt mit der Erkenntnis, dass bereits das Einleiten einer solchen Entwicklung merkliche Erfolge zeitigen kann.

Doch wie es in Familien so ist, werden neue Probleme wie Grüppchenbildung und Egoismen Einzelner auftreten, so dass in einer Firma im Bereich ‚Personal‘ mit einer hochdynamischen Sphäre von dauernd neu auftretenden Aufgaben, Problemen und Lösungsansätzen zu rechnen sein wird.

Gute Fachkenntnisse und ein möglichst ausgeglichener psychischer Pegel sind Voraussetzung dafür, Innovationen zu generieren oder zu fördern, auch unter Belastung Nutzen und Risiken richtig einzuschätzen und angemessene Entscheidungen im Sinne nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit zu treffen.

Daher wäre in Betracht zu ziehen, psycho-mathematisch hergeleitete allgemeine Grundlagen zur psychischen Stabilisierung zu vermitteln, wie auch in speziellen Bereichen wie ‚Kommunikation‘, ‚Motivation‘, ‚Entscheidungsfindung‘ und ‚Führung‘ mathematisch fundierte und nachvollziehbare Unterstützung zu bieten.

Grundsätzlich zu überlegen wäre die Installation eines ‚Managementsystems‘, das, unterstützt durch ein Expertensystem und KI, alle Bereiche der Firma grafisch gut und verständlich abbildet und in wählbarer Detaillierung Geschäftsführer wie weitere Berechtigte in die Lage versetzt, sich grundlegende Informationen über alle Bereiche der Firma und – vor allem – deren Entwicklung zu verschaffen.

Fazit: Die wichtigste Aufgabe einer Führungsperson ist eine strategische, durch guten Kenntnisstand untermauerte Zielsetzung mit einem vernünftig machbaren, von allen Teams und Hierarchiestufen unterstützten und kooperativ kommunizierten Weg, wie dieses Ziel zu erreichen wäre.

Mindestens gleichrangig der Umgang mit Personal, wobei immer mehr individuelle und aktive Unterstützung gefordert sein wird.

Bildnachweis:
Monkey Business 2/Shotshop.com           Konferenz
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